Der Arbeitstag neigt sich dem Ende zu, wunderbar. Mein Schädel brummt noch von einer Woche voller langer Tage, gekrümmt über dem Laptop sitzend. Der Blick nach links aus dem Fenster offenbart eine Sammlung an unterschiedlichen Grautönen. Spontan muss ich an John K und die Weakerthans denken:
Late afternoon, another day is nearly done
A darker grey is breaking through a lighter one
A thousand sharpened elbows in the underground
That hollow, hurried sound
Scharfe Ellbogen und Grau. Das verstehe ich. Bilder, die ich auch für meinen heutigen Tag malen könnte. An manchen Tage blicke ich zurück auf die geleistete Arbeit am Laptop im Homeoffice und frage mich was ich getan habe. Ja, es gab sie….endlose Diskussionen über das Customer Relationship Management Tool und dessen optimale Nutzung im Corporate Kontext. Das Einholen von Approvals für Projektpläne, das Anfragen bei der Rechtsabteilung einen Vertrag aufzusetzen oder die Emailkonversationen mit den Kunden, welche Projektschritte prioritisiert werden sollten….Ja, all das habe ich heute getan und dabei wurden auch viele Daten transferiert. Aber schon jetzt, während ich den Laptop in den wohlverdienten Schlafmodus überführe, verschwimmen all diese Aktivitäten in ein Grau-in-Grau. Ich sitze mit leeren Blick am Schreibtisch und fühle mich wie angeschwemmte Tintenfisch Knochen an einem herbeigesehnten Strand. Anwesend und präsent, aber die aktuelle Form verneint die zuvor lebendige Erscheinung.
So ist es nunmal. Was ist zu tun? An das denken, was kommt und ich muss Lächeln. Gleich kommt mein Freund Oscar vorbei und wir werden musizieren. Lachen, die Instrumente stimmen, einfach drauflosspielen und unsere Versuche aufnehmen. Seit einigen Monaten treffen wir uns regelmäßig um Musik zu machen. Dabei streben wir nicht unbedingt an, die musikalische Perfektion eines Stückes zu erreichen, sondern intensiv die formbringende Kraft der Musik zu spüren. Zu fühlen, zu erschaffen und das zu sein, was wir vielleicht im Alltag nicht immer sein können. Wir spielen Musik und ich denke an Worte von Cortázar, die ich vor Jahren gelesen habe und mich immer noch häufig begleiten:
Nur in den Träumen, in der Dichtung, im Spiel beugen wir uns zuweilen über das, das wir gewesen sind, bevor wir das wurden, was wir vielleicht sind.
Julio Cortázar in “Rayuela – Himmel und Hölle”
Im Traum, in der Dichtung und im Spiel der Musik erschaffen wir etwas, das uns emotional berührt. Mehr vielleicht als das, was wir mehrheitlich am Tag zu tun haben. Hier bin ich mehr ich, als ich es sonst bin. Oscar und ich spielen die Musik. Wir fühlen sie und erschaffen dabei etwas, das in diesem einzigartigen Moment dem höchsten Sinn entspricht. Etwas, dass das profane Handeln für einen Moment erhöht und eine Tür öffnet zu einer neuen Perspektive, wer man eigentlich ist oder auch wie das Leben sein kann.
Oscar spielt eine Akkordfolge, ich steige ein und dann singen wir gemeinsam. Wir singen, dass wir “heute keine Zeit haben”. An manchen Stellen schreien wir laut unsere Emotionen heraus, an anderen hören wir still in uns hinein und vergießen Tränen der Glückseligkeit. Wir schwingen uns auf in Höhen, spielen uns in einen Rausch und nachdem wir uns in der Akkordfolge zum “Spirit of Chiara” verlieren, ertappe ich mich dabei wie ich meine Augen schließe und einfach nur nach Gefühl spiele. Ich öffne kurz meine Augen und sehe, dass auch Oscar mit geschlossenen Augen spielt. Die Perfektion des Harmonierens und alles macht Sinn. Wir kommunizieren in diesem Augenblick nur über die Musik.
Wir hören uns unsere Aufnahmen an und erfreuen uns an gelungenen Passagen, lachen über Misslungenes oder unser Gelaber zwischendrin. Aber am wichtigsten: Wir realisieren, dass wir was erschaffen haben, das aus einer Emotion geboren wurde. Es ist, wie es ist, nicht perfekt, eher roh, aber wahr und für sich einzigartig und unwiederholbar. Und es fühlt sich zuweilen soviel lebendiger an als Datenmengen im Customer Relationship Management Tool zu verschieben.
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