Es ist Allerheilgen und ich sitze mit meinem Laptop in der Oorlam Bar in Hamburg Neustadt. Die Bar ist hell und vor mir absorbiert das im Laphroaig Fass gereifte Bier “Meppener Moorbrand” meiner Hamburger Lieblingsbrauerei Buddelship das gesamte Lichtspektrum. Das Bier is benannt nach einem Flächenbrand, der durch einen Waffentest im Emsland verursacht wurde. Damals feuerte die Bundeswehr 74 Raketen von einem neuen Airbus Kampfubschrauber Modell ab und das Moorland brannte für 20 Tage. Ähnlich kompromisslos und weitreichend ziehen die starken Raucharomen des Whiskyfasses und des Rauchmalz in meine Nase. Wohltuend. Die Bar hat den speziellen Charme eines 80er Jahre Wohnzimmers. Zusammengewürfelte Tische, Stühle und Sessel. Hinter dem Tresen stehen die verschiedenen Biersorten auf Fliesen angeschrieben. Eine besondere Ästhetik, die sich im gastronomischen Angebot fortpflanzt. Gepaart werden die Biere in der Oorlam Bar nämlich mit holländischem Genever und Käse. Eine schöne Kombination.

Wie diese Bar vereint Hamburg die Geschmäcker der Welt. Im Portugiesenviertel zieht der Geruch von gebratenen Bacalao durch die Straßen und lädt die Düfte der sizilianischen Pizzerien zu einem Tanz der Aromen ein. Und gehst du aus dem Portugiesenviertel ergießen sich vor dir die Verheißungen der Landungsbrücken. Das Tor zur Welt. Früher….hunderte von Dampfern mit dem Ziel neue Welt. Die Sehnsucht nach Ferne mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in dieser Ferne. In fernen Zeiten standen hier viele Menschen genau mit dieser Hoffnungen, die modrigen Moorbrände in den deutschen Landen zu verlassen. Jetzt kommen sie auch, aber velassen den Moorbrand nur für ca. 1-2 Stunden auf der großen Hafenrundfahrt. Auch das ist in Ordnung. Heute haben ich keine Bootsfahrt genommen.

Ich bin heute morgen weitergegangen. Stand bei dem Fischmarkt und dem Elbspeicher, den Blick auf die Krane im Hafen gerichtet. Ein riesiger Frachter liegt im Hafen. Emsig hieven die Krane mit ihren Ameisenzangen Container für Container vom Frachter an Land. Es geht voran. Fortschritt wird gemacht und wir erhalten alle unsere Kindermenschengüter. Unweigerlich schau ich auf meine Schuhe. Haben euch diese Ameisenzangen auch an Land geholt?

Von Fern sieht das Treiben chaotisch aus. Die Logik ist unersichtlich. Wie wird entschieden welcher Container wohinkommt, unklar. Aber es funktioniert. Alle Produkte werden ihr Ziel erreichen. Generell scheint mir hier in Hamburg in all seinem großstädtischen Chaos dennoch eine Aura des Funktionierens zu bestehen. Der wilde Verlauf der Elbe wurde kanalisiert und nutzbar gemacht. In jedem kleinen Fleet oder Kanal manövrieren Krane mit unbekannten Zielvorgaben. In jeder noch so heruntergekommen Pauli Kneipe wandern am Mittag Lieferscheine von einer Hand zur anderen. Die orientalischen Märkte am Steindamm, bei denen jeder kunde zu wissen scheint, wo er die richtigen exotischen Ingredienzen finden kann. Und auch im Chaos des Fischmarkts findet jedes Fischbrötchen seinen Abnehmer.

“Kann ich dir noch was gutes tun?”, fragt der überaus freundliche Kellner. Ich danke ihm, aber verneine.

In mir herrscht auch Chaos. Chaos im Kopf, Chaos im Herzen. Vielen scheint einfach nicht zusammenzupassen. Aber auch ich erlebe einen Produktivitätshochphase. Projekte laufen an, Projekte werden beendet.  Auf meiner kapitalistischen Seite scheint sich also alles gut zu entwickeln. Aber so viel Sehnen. Ich ging am Samstag gleich nach meiner Ankunft in die Kunsthalle Hamburg.  Zielstrebig suchte ich Caspar David Friedrichs “Wanderer über dem Nebelmeer” auf. Ein Bild, das mich magisch anzieht. Romantizistische Quintessenz. Lange stand ich scahuend und fühlend vor dem Bild. Und mit der Zeit  wird der Wanderer zum “Ich”. Gemeinsam als eins schauen wir dann. Von den höchsten Höhen schaut das Ich auf eine Landschaft. Trillionen kleinster Wassertropfen von Möglichkeiten vereinen sich zu einer nebligen Blockade. Alles Grau. Auch wenn fern weitere wunderschöne Gipfel den Nebel durchstoßen. Wie kommt Ich zu ihnen? Wie kommt das Ich überhaupt von der aktuellen Position wieder runter.  Reinigende Wanderung durch den Nebel oder nasskalter Sturz?

Ich bezahle den nettern Kellner. Morgen frühe verlasse ich Hamburg wieder. Gelernt habe ich, denn ich habe vieles gesehen. Viel weites. Ich bereiste einen Gipfef der Weitsicht für mich. Was ich sah, ist unklar einzuordnen. Aber es zählt, dass man sieht, vielleicht versteht man ja später. Und vielleicht löschen ja Nebelmeere unsere Moorbrände.