Morastiges Läuten

Ich will hier über Musik reden. Musik ist wichtig. Musik schmerzt, Musik heilt. Und ich liebe, leide und lebe mit Musik.  Ich will also über Musik schreiben, über Alben, die mich geprägt haben, über ihre magischen Momente und ihr Nachhallen, sodass diese zu den “Soundtracks of our lives” werden.

Und welch Album wäre besser diese Serie zu starten, als das Zweitlingswerk von den Two Gallants “What the toll tells”.  Dieses Album erreichte mich in einer besonderen Phase, einer schmerzvollen Phase. Aber die Musik von den Two Gallants ermöglichte mir eine reinigende Katharsis. Das Eintauchen in den Morast, gepaart mit der Liebe und Trauer der Songs auf “What the toll tells”, zeigten mir, was denn auch erhellend im Morast läutet.

but who’s to blame when all are guilty
morals stained & conscience filthy

Two Gallants – “Threnody”

Two Gallants ist eine Zwei Mann Band aus San Francisco. Adam Stephens als Sänger / Gitarrist und Tyson Vogel als Schlagzeuger und Background Vocalist. Der Sound ist folkig angehaucht, kann sich aber blitzschnell zu Punk oder Emo Core  verwandeln. Adams Stimme vereinigt Wut und Leid, dabei werden seine Emotionen gespiegelt durch die immer wieder fantastisch gesetzten Fill-Ins von Tysons Schlagzeug. Eine einizigartige Harmonie von Gesang, Gitarre und Schlagzeug, die in derartigen Zwei Mann Bands sonst nicht zu finden ist. Das Album “What the toll tells” hat bei acht Songs eine Laufzeit von über eine Stunde, heißt also einiges an Überlänge in den Songs. Aber gerade die langen Stücke sind eine Wahnsinnsreise durch alle Tiefen des Torsos, da wo der Schmerz sitzt und wuchert.

Als ich im Februar 2006 das Album für mich entdeckte, war ich stolzer Zivilidienstleistender und gerade hatte sich alles, was ich mir nicht wünschte, erfüllt. Mein  Vater verließ unsere Wohnung im Frühjahr 2006. Er sagte er wolle ein neues Leben und hielte es nicht mehr daheim aus. Er zog um in eine nahe gelegene große Stadt. Mit 20 Jahren war ich eigentlich erwachsen, aber dennoch riss mich die Trennung meiner Eltern in eine schwere Krise. Klar, ich ruhte in mir selbst und ließ mir nach außen nur wenig anmerken , aber all die sicheren Fundamente, die mein Leben ausmachten, waren dabei in ihre Einzelteile zu zerfallen. Was bedeutet Liebe und Zuneigung, wenn deine Eltern diese verlieren? Wo gehöre ich hin, wo soll  mich mein Lebensweg führen, wenn der Startpunkt nur eine Erinnerung ist?

Daneben das Arbeiten in einer Pflegestation. Bereits im ersten Monat hat sich eine der Insassen versucht umzubringen, woraufhin sie von der Hüfte abwärts gelähmt war. Eine Konfrontation mit Schmerz, Leid und Tod, die mir so noch nie zugetragen wurde. Wie dunkel ist dies Leben doch…

In dieser Kulmination meiner Verletztheit und Verwirrung, entdeckte ich Two Gallants für mich. Eine Offenbarung.

Sobald ich mich in dieser Zeit auf ein Fahrrad schwang, lief schon der Eröffnungstrack “Las Cruces Jail” und die einsame Gitarre zerklüftete das Rauschen des Windes. Und ich fuhr los, und irgendwann, sobald ich die dörfischen Grenzen verließ, schrie ich die Zeilen: “Down the highway, down the road, to infamy I’ll ride”.  Ja die Schande … Offensichtlich beschreibt “Las Cruces Jail” die Biographie des Gesetzlosen Billy the Kid. Und ich war wohl das Gesetz los, wie Familien zu funktionieren haben. Diese Wildheit, in der Adam die Verrückheit und Verzweiflung des Gesetzlosen hinauskatapultiert, bringt jedem den eigenen Wahnsinn näher und den Wunsch auszubrechen. Man ersinnt sich einen westfälischen Wilden Westen und reitet aus, um denen zu entkommen, die einen Hängen wollen. Im Stück gibt es die Rastpausen, an denen man wahlweise am Kaktus oder an der Eiche innehält, ehe Tysons Trommeln einen wieder anpeitschen und der Drang auszubrechen nur noch größer wird.

And every day is just another town
The more I search you know the less I found
Me I’m a sucker just a slave to sound
And it’s comin’ and I’m still runnin’

Two Gallant – Steady rollin’

Auch im zweiten Song “Steady rollin'” stellt uns Adam einen verbrecherischen Erzähler vor. Er ist sich seiner Verbrechen und seine Sünden bewusst, ein Raskolnikow im Endstadium, und weiß, dass er Sühnen muss, egal was passiert. Soviel Schlechtes passiert, durch uns oder einfach nur so, aber gibt es denn überhaupt viele Alternativen als diesem Schicksal in melancholischer Gleichmut entgegenzutreten und weiterzumachen: “and it’s coming’ and I’m still runnin'”. Diese nahezu fröhlich gestalte Melodie gepaart mit dem tiefst melancholischen Text ist wie Karalmeleis, verstzt mit Himalayaslz, irgendwie seltsam gepaart, aber doch wohlbekömmlich.

Alle Süße ist weg, wenn Adam die ersten Zeilen von “Some slender rest” haucht und fern vibrierende Mol Klänge erzupft werden. Im Text geht es um die Beichten in den letzten Lebensstunden, und die Musik wird ergänzt durch Tysons bestimmtes Schlagzeug, das wie ein pochender Schmerz auflodert. Daneben steigert ein einzelnes Cello uns in eine Traurigkeit, die uns an den Grund des emotionalen Morasts befördert. Dies war einer der ersten Songs, der mich nahezu sofort zu Tränen gerührt hat.  Es ist alles dunkel und tief, aber wo es dunkel ist, muss es auch was geben, dass uns das Dunkel erkennen lässt und gegen Ende des 8-minütigen Stückes läutet es so hell wie im Morast nur möglich:

To run and tell my darling true
My breath is short
My days are few
So please come down
And take my hand

Two Gallant – Some Slender Rest

Und wie als eine Reinigung nach all den Beichten, erklingt ein in die Höhe schnellendes Mundharmonika-Solo von betörender Schönheit, im Morast geboren.

Die nächsten Stücke hieven uns wieder etwas aus dem Morast mit ihren erhellenderen Melodien, aber wieder nur an der Oberfläche. Die tieferen Texte führen uns zu der Geißel des Rassismus (“Long Summer Day”) und zum Abnabeln aus einer (schein)heiligen Familie (“Prodigal Son)”. Aber der nächste 8 Minuten Song “Threnody” bringt uns wieder tief zum Grunde, zur Isolation und zur Frage wohin die Liebe weht: “Could that be you my love, your dust upon the wind?”

Who has betrayed the deceased?
Such an infamous freedom, such a militant peace.

Two Gallants- Waves of Grain

 

Der letzte Song ist für mich das Highlight des Albums: “Waves of grain”. Vielschichtiges Meisterwerk, das schon viele Interpretationsansätze erfahren durfte und musste. Meiner Meinung nach geht es um nichts weniger als den untergehenden amerikanischen Traum. Verständlich in einer Zeit, in der man sich zu “gerechten” Präventivkriegen hat verleiten lassen.

Musikalisch ist es letztendlich das noble Destillat eines Two Gallants Songs.  Es beginnt ruhig fragend mit Gitarre, Mundharmonika und Gesang. Zart eingeschobenen Drum Fills. Dann langsam steigernd in wilder Ekstase.  Musikalische und lyrische Aufgelöstheit, die nur von Mundharmonika Klängen eingefangen werden kann.

Textlich ist hier so viel einzufangen, zum einen die Frage wie wir das Erbe der Vorhergegangenen verwalten. Oder auch die Worte all der falschen Propheten, die angeblich die göttlichen Botschaften erhalten und uns zu Taten verleiten, die weder edel und gut sind:

“This playground is yours”
Spoke god when you met behind closed doors,
“Gesture your hands and the pawns shall subside.”

Two Gallants – Waves of Grain

Doch all diese Fragen und Botschaften die Adam und Tyson in “Waves of Grain” Ausschreien und Schlagen führen nur zu der Erkenntnis: Alles, was wir für gesichert erachtet haben, zerfällt. Alle unsere Prinzipien des Glaubens und fundamentierte Lebenswege pulverisieren. Tausend zerberstende Scherben. Wir müssen sie benennen um verstehen, was mit uns passiert und was diese mit uns treiben. Aber ihnen auch entgegenschreien, um ihr Gift in unseren Schreien zu verwehen.

Two Gallants’ What the toll tells hat mich das gelehrt. Glaube nicht an das, was unumstößlich scheint, hinterfrage es. Dafür muss du durch den Morast deiner Gefühle gehen, aber du findest dort auch was, auch wenn es zunächst nur ein leises Läuten im Lärm der Zeit ist.